Gespräch mit Steffen Volkmer, PR- und Pressemanager und Redakteur bei Panini. Das Interview entstand am Rande des Comicfestivals München 2015.
Panini Comics ist mit rund 40 Comic-Veröffentlichungen pro Monat Deutschlands führender Comic-Verlag. Im Programm finden sich viele Lizenzen großer US-Labels: DC, Marvel, Dark Horse, Vertigo, IDW, Bongo u. v. m. haben hier eine Heimat gefunden. Zu den regelmäßig erscheinenden Titeln gehören u. a. „Superman“, „Batman“, „Spider-Man“, „Die Simpsons“ sowie Comic-Adaptionen angesagter Themen wie „Buffy“ oder „Game Of Thrones“. Dazu gesellen sich Mangas, Graphic Novels und in den letzten Jahren auch vermehrt Eigenlizenzen aus deutschen Landen. Panini Comics ist Teil der in Stuttgart ansässigen Panini Verlags GmbH, die ein Unternehmen der italienischen Panini-Gruppe mit Sitz in Modena ist.
Steffen Volkmer, (C) Panini
Ihr versteht euch selbst als Entdecker, die Trends früh erkennen und Mut und langen Atem haben, neue Projekte anzugehen. Was sind aktuelle Beispiele für solche Projekte?
Das beste aktuelle Beispiel ist sicherlich die Berliner Zeichnerin Daniela Schreiter mit ihrer Graphic Novel „Schattenspringer – Wie es ist, anders zu sein“ und der aktuellen Fortsetzung „Per Anhalter durch die Pubertät“, in denen sie Kindheit und Jugend als Asperger-Betroffene darstellt. Ich habe Daniela selbst im Internet über ihre Homepage entdeckt und war sofort begeistert von ihren Sachen: Man lernt beim Lesen sehr viel über Asperger-Autismus und die Probleme, die Betroffene und ihre Familien haben. Das ist witzig gemacht, aber es bleibt ein schwieriges Thema und ich glaube da würde nicht jeder so einfach rangehen. Ich war damals sofort von der Qualität überzeugt, und zum Glück hat das das Entscheider-Gremium bei Panini auch so gesehen, auch wenn es natürlich immer ein Risiko ist, unbekannte Zeichnerinnen und Zeichner ins Programm aufzunehmen. Bei Daniela hat uns der sensationelle Erfolg Recht gegeben.
Und so halten bei uns immer einige Leute die Augen offen, sowohl in der internationalen Comic-Szene als auch in dem was online abgeht, ob man da nicht theoretisch was draus machen könnte. Es ist auch immer wieder die Bereitschaft da, etwas Neues auszuprobieren: Über lange Jahre waren wir ja fast ausschließlich als Lizenznehmer unterwegs, aber mittlerweile haben wir auch eine Schiene mit deutschen Künstlern aufgebaut, wir haben eine Graphic Novel-Schiene ins Programm genommen und sind jetzt im Sommer auch in den franko-belgischen Albenmarkt eingestiegen.
Cover von Daniela Schreiter: Schattenspringer, Band 1, (C) Panini
Kannst du auch einen Ausblick in die Zukunft geben, welche Trends wohl weiter gehen werden?
Generell ist es so, dass sich Trends im Comicbereich über einen längeren Zeitraum langsam aufbauen – und häufig dann am Ende doch nicht den erwarteten Scheitelpunkt erreichen. Das ist z.B. bei den Zombies so – die sind zwar auch hierzulande in Mode, aber der Rummel darum hat lange nicht das Ausmaß erreicht wie in Amerika, obwohl man das lange gedacht hat.
Cover von Brian M. Bendis, Sara Pichelli, Olivier Coipel: Guardians of the Galaxy, Band 2, (C) Panini
Wenn es einen Trend gibt, dann ist es im Augenblick eigentlich der zurück zu den klassischen Superhelden. Die sind seit zwei bis drei Jahren wieder stärker im Kommen, nicht nur bei ihrer eingeschworenen treuen Fangemeinde – was vor allem an den Comicverfilmungen der letzten Jahre liegen dürfte. Die sind sehr gut gelungen und haben die Superhelden auch der breiten Bevölkerung zurück ins Gedächtnis gerufen, z. B. mit „Avengers“, „Guardians of the Galaxy“, „Daredevil“ oder „Arrow“.
Ein anderer und für die Comicbranche erfreulicher Trend besteht darin, dass auch der Buch-Fachhandel vermehrt Comics im Angebot hat. Gerade mit den Graphic Novels hat man da einen sehr guten Türöffner gefunden. Der Buchhandel ist im Bereich Comic sicher der Handelsweg, der gerade am meisten Zuwachsraten verzeichnet.
Ihr engagiert euch auch in der Nachwuchsförderung, indem ihr zusammen mit anderen Verlagen die Comicplattform „Mycomics.de“ betreibt und dort auch Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit gebt, ihre Werke einzustellen, die keinen der beteiligten Verlage im Rücken haben. Inwiefern haben sich die Erwartungen, die ihr in Mycomics gesetzt hattet, erfüllt?
Konkrete Erwartungen hatten wir damals nicht – wir wussten nur, was wir wollten: für Verlage wollten wir eine Werbeplattform etablieren, Künstlern eine Plattform bieten, sich selbst und ihre Projekte darzustellen und auf diese Art möglicherweise einen Verlag zu finden, und Comicliebhabern wollten wir die Möglichkeit bieten, nach Herzenslust in verschiedensten Werken zu stöbern und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Und das hat auf jeden Fall funktioniert, ich würde sagen, heute ist mycomics.de die Standardseite, die der Comicfan anwählt, wenn er sich informieren möchte.
Wie ist das Zahlenverhältnis von ausländischen Künstlern zu nationalen bei euch?
Die Anzahl deutscher Künstlerinnen und Künstler ist bei uns im Vergleich zur Anzahl amerikanischer Künstler verschwindend gering. Das liegt daran, dass man bei ausländischen Lizenzen schon ein fertiges Werk übernehmen kann, das man dann auf die bestmögliche Art in Deutschland herausbringt. Bei deutschen Künstlern fängt man bei Null an, wenn man mit ihnen zusammen ein neues Werk entwickelt, und das dauert natürlich seine Zeit, bis dieses Werk dann auch auf dem Markt ist und verkauft werden kann. Daher können wir nur eine begrenzte Anzahl deutscher Künstler betreuen.
Ihr agiert als Panini Deutschland, aber ihr habt doch sicher Kontakte nach Italien, zum Mutterhaus, und nach Amerika, u.a. über die Lizenzen von Marvel und DC. Was sind die größten Unterschiede des amerikanischen bzw. des italienischen Comicmarktes zum deutschen?
Deutschland ist comicmäßig nach wie vor Entwicklungsland, wenn es auch in den letzten zehn, fünfzehn Jahren aufgeholt hat. Die USA und auch europäische Länder wie Italien, Frankreich und Belgien haben eine viel lebendigere Comicszene als wir, was sich auch in den Verkaufszahlen und der Reputation widerspiegelt. Paradoxerweise ist Deutschland trotzdem ein sehr interessanter Markt für die US-Verleger, weil hier viele amerikanische Comicserien konsumiert werden.
Darüber hinaus sind die Vertriebsmechanismen in Deutschland einzigartig, weil Comics hier in Kiosken, den Bahnhofskiosken, Buchhandlungen und dem Comicfachhandel vertrieben werden – in den USA werden 95% aller Comics über den Comicfachhandel verkauft, in Italien läuft fast alles über Kioske. Dieses einzigartige Geschäftsmodell hat natürlich auch Auswirkungen auf die Lizenzverträge, d.h. wenn man internationale Verträge macht ist es sehr oft so, dass man für Deutschland einen extra Vertrag aufsetzen muss, wegen der verschiedenen Arten der Verwertung und der sich daraus ergebenen verschiedenen Arten der Abrechnung. Außerdem wächst das e-comics-Geschäft in den USA viel rasanter als hierzulande.
Ihr seid vor einiger Zeit auch in den Graphic Novel Markt eingestiegen, z.B. mit „Schattenspringer“, „Das echte Leben“, oder „Die Mauer“. Erwartest du, dass dieser Bereich noch weiter wachsen wird, oder hat der Graphic-Novel-Hype seinen Höhepunkt schon erreicht?
Cover von Céline Faipont, Pierre Bailly: Die Mauer, (C) Panini
Graphic Novels sind im Moment DER Wachstumsmarkt. Ich beurteile das Aufkommen der Graphic Novels positiv, weil dadurch auch Buchhandlungen dazu bewegt werden konnten, solche Werke in ihr Verkaufsangebot aufzunehmen. Wir als Panini haben zwar einfach durch die Vielzahl unserer Titel – und durch Serien wie z.B. „Simpsons“ u.a., die einfach an sich schon Fans haben – einen größeren Einzugsbereich als kleinere Verlage, aber auch wir haben festgestellt, dass durch die Graphic Novels neue Lesergruppen erobert werden.
Aber ob man es nun Comics oder Graphic Novels nennt – nach wie vor hat es die Verankerung deutscher Comics bzw. Graphic Novels in der deutschen Kulturlandschaft schwer.
Woran liegt das aus deiner Sicht?
Das hat vor allem historische Gründe: Als die Comics stark wurden und nach Deutschland kamen, geschah das nach 1945 zusammen mit dem Einzug der Siegermächte in Deutschland. Die Kinder fanden Comics zwar spannend und toll, aber die Generation der damals erwachsenen Deutschen verband das Thema Comic seitdem mit den Siegermächten und beäugte es daher äußerst misstrauisch, als nicht erstrebenswertes Kulturgut. Und dieses Image ist bis heute in Deutschland an den Comics hängengeblieben: ‚Comics sind höchstens etwas für Kinder, aber eigentlich taugen sie nicht viel.‘ Die deutsche Comickultur wanderte damals bald in den Untergrund ab, und da ist sie auch heute immer noch zum großen Teil zu finden. Das zeigt sich z.B. daran, dass es in Deutschland kaum professionell arbeitende Comickünstlerinnen und -künstler gibt. Die allermeisten sind darauf angewiesen, einen „Brotberuf“ zu haben, und gestalten Comics in ihrer Freizeit. In den USA dagegen bekommen Comickünstler Honorarverträge schon ehe der Comic fertig ist – aber die müssen dann auch eine Seite pro Tag schaffen; in Deutschland können die Verlage das nicht bieten, weil die Auflagenzahlen und damit der Umsatz viel geringer sind. Aber in den USA werden Comics auch als eigene Kunstform propagiert, und es gibt eigene Ausbildungen dazu. Es gibt dort z.B. fast keine künstlerisch ausgerichtete Kunstschule bzw. Highschool oder Universität, wo nicht Comic gelehrt wird. Das ist bei uns doch nur sehr rudimentär vorhanden.
Und all das schlägt sich auch in der Behandlung von Comics in der Presse, im Feuilleton nieder: Es wird selten größer über Comics berichtet, und wenn doch, ist meistens eine gewisse ironisch-herablassende Note dabei, durch die die Auffassung durchschimmert, Comics seien etwas für Sonderlinge.
Ihr bringt viele Specials zum Comicfestival mit, z.B. „Batman, Arkham Asylum“ im Ledereinband. Erst nach dem Festival erscheint „Arkham Origins“, ein interaktiver Comic. Wie funktioniert denn ein interaktiver Comic?
Cover von Batman – Arkham Origins, lim. Hardcover, ein interaktives Comic-Abenteuer in Gotham, (C) Panini
Da gibt es zwei Prinzipien: Entweder wird der Comic mit zusätzlichen Funktionen dazu im Internet kombiniert. Oder der Leser selbst wird insofern in die Handlung mit einbezogen, indem er an bestimmten Stellen entscheiden kann, wie es weitergehen soll – nach dem Motto, wenn der Held durch die Tür gehen soll, blättere vor auf Seite x, wenn er daran vorüber gehen soll, sieh nach auf Seite y usw. Bei „Arkham Origins“ ist letzteres der Fall.
Panini ist riesig breit aufgestellt, und hat den Lizenzvertrag für Marvel und DC längerfristig in der Tasche – da habt ihr für die Zukunft ja eigentlich nichts zu befürchten, oder?
Wir sind optimistisch und sind auch gut aufgestellt. Aber das Lizenzgeschäft ist auch kein Selbstgänger. Die Verträge gelten ja immer über mehrere Jahre und werden auf die vereinbarte Laufzeit hochgerechnet. Das bedeutet, es werden hohe Anfangsbeträge fällig, die dann hoffentlich über den vereinbarten Zeitraum wieder hereinkommen. Da müssen wir schon hart kalkulieren, und manchmal müssen wir auch schweren Herzens Abstand von Projekten nehmen. Manchmal ist es auch schwierig, neue Lizenzverträge zu bekommen oder alte zu erneuern, die verlängern sich ja nicht automatisch und müssen jedes Mal neu verhandelt werden – bei „Star Wars“ hat es z.B. lange gedauert, bis wir da die Verlängerung unter Dach und Fach hatten.
Zum Schluss hast du jetzt noch einmal zwei Minuten Zeit, um deine Lieblingstitel aus dem Programm, das ihr hier in München dabei habt, aufzuzählen!
Cover von Daniela Schreiter: Schattenspringer, Band 2, (C) Panini
Ich wusste, dass das jetzt kommt… Über die letzten beiden Jahre hingeschaut: „Schattenspringer“ ist ganz bestimmt eines meiner Lieblingsprojekte, zu dem ich eine besondere Verbindung habe, da ich Daniela Schreiter ja wie anfangs erwähnt entdeckt habe. Da freue ich mich besonders, dass im Juli der zweite Band erscheint.
„Schnappt Jiro“ hat auch wahnsinnig viel Spaß gemacht, unsere mörderische Sushi-Ballade von dem international bekannten TV-Koch Anthony Bourdain als Autor, ein unglaublich schräges und abgefahrenes Werk.
Innerhalb unserer Superhelden-Phalanx mag ich besonders die „Harley Quinn“-Serie und „Injustice“ und auch ein paar TV-Serien, die im Fernsehen nicht fortgesetzt wurden, aber als Comic, wie z.B. „Buffy“. Sowohl von der Story als auch von der Art und Weise der Umsetzung finde ich es großartig was Joss Whedon da geleistet hat.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Sylvia Marquardt
Weitere Informationen im Internet: