Gespräch mit Stefan Dinter, der zusammen mit Christopher Tauber den Zwerchfell Verlag leitet. Das Interview entstand am Rande des Comic-Salons Erlangen 2014.
Stefan Dinter, (C) Zwerchfell Verlag
Seit 25 Jahren widmet sich der Zwerchfell Verlag der Veröffentlichung deutscher Independent Comics. Dabei hat sich das 1988 von Christian Heesch gegründete Unternehmen stets der Förderung deutscher Comic-Kunst und -Unterhaltung verschrieben. Die Mitarbeiter des Verlages, der seine Wurzeln in der Fanzine-Szene hat, sind selbst ausnahmslos als Comiczeichner oder -autoren tätig, sei es für Zwerchfell, sei es für andere Comic-Verlage. Der Zwerchfell Verlag fördert neue, aufstrebende Talente einerseits und gibt andererseits bereits bekannten Comic-Größen die Möglichkeit, innovative Projekte durchzuführen, an die sich andere Häuser nicht heranwagen.
In einer eurer Broschüren – siehe auch www.survivor-girl.de – bezeichnet ihr euch als einen der letzten Independent-Comic-Verlage Deutschlands. Wie ist das gemeint?
Ach, eigentlich sind wir eher einer der ersten deutschen Indie-Verlage, weil es uns tatsächlich schon seit 1988 gibt! Den Begriff Independent oder Indie haben wir dabei aus der Musikszene übernommen, er ist uns lieber als z.B. die Bezeichnungen Kleinverlag oder Küchentischverlag. Comics heißen ja heutzutage auch Graphic Novels (lacht)!
Independent meinen wir auch in dem Sinne, dass wir jetzt nicht zu einem großen Medienkonzern gehören, sondern unser eigenes Ding machen wollen. Sei professionell, aber sei unabhängig, mache es so gut wie du kannst, aber mache es auf deine eigene Art – das ist so unsere Verlagsphilosophie.
Zu unserer Geschichte: Christian Heesch hat Zwerchfell also damals 1988 in Hamburg gegründet, und seit 2009 führen Christopher und ich offiziell die Geschäfte, wobei Christopher mittlerweile in Frankfurt lebt und ich in Stuttgart. Beide waren wir vorher schon als Zeichner für Zwerchfell aktiv.
Coverillustration von „Die Toten, Band 1“, Panini/Zwerchfell Verlag, (C) Zwerchfell Verlag
Dann erzähle doch bitte kurz etwas über euer aktuelles Programm!
Gerne! Aktuell hervorheben möchte ich zum einen „Ach, so ist das“, eine Sammlung biographischer Comic-Reportagen: Martina Schradi hat dafür Homo-, Bi- oder Transsexuelle zu ihrer Geschlechteridentität und ihren gesellschaftlichen Erfahrungen befragt und die Interviews zu einem Comicbuch zusammengefasst. Und dann „Wie weit“ von Howard Hardiman, das auf Interviews basiert, die Hardiman mit Londoner Callboys geführt hat. Herausgekommen ist dabei eine sehr anrührende, aber auch harte, dramatische Liebesgeschichte aus dem Strichermilieu. Diese beiden Titel sind auch programmmäßig etwas Neues für uns.
Weitere wichtige Titel sind „Die Zeit und Gott“ von Aike Arndt sowie Tim Gaedke mit „Punchdrunk“.
Unsere großen Seller sind natürlich „Das Leben ist kein Ponyhof“ von Sarah Burrini sowie die von uns konzipierte Serie „Die Toten“, an der verschiedene Zeichner und Autoren mitwirken.
Coverillustration von „Die Toten, Band 4“, Zwerchfell, (C) Zwerchfell Verlag
Und eure eigenen Projekte?
Christopher hat z.B. „Mal döch mal Metal“, das Malbuch für den Heavy-Metal-Nachwuchs, sowie „The Complete Penis“ herausgebracht, in dem er die verschiedenen Bezeichnungen für das männliche Geschlechtsteil zeichnerisch umsetzt, außerdem „Disco amore“ über zwei DJanes.
Ich habe auch mehrere eigene Projekte, möchte aber hier besonders auf eins hinweisen, „Ninja Koala“, eine Story, die mir mein 9jähriger Sohn erzählt hat und die ich dann bebildert habe.
Übrigens arbeiten wir beide auch noch für andere Auftraggeber als Illustratoren oder kreieren Zeitungscomics.
Als Verleger bist du also seit 2009 aktiv, als Zeichner und Autor ja schon seit den 80er Jahren. Gibt es denn einen Trend in der Comicbranche, mit dem du überhaupt nichts anfangen kannst?
Ach, ich finde eigentlich alles ok, es gibt keinen Trend, den ich generell ablehnen würde. Ich finde immer etwas, das mir gefällt! Die Szene ist im Moment so vielfältig, wie ich es noch nie gesehen habe, es gibt Manga, Fantasy, sogar Krickelkrackel geht, wenn es gut gemacht ist… Das ist toll, als ich zwanzig war, war das viel schwieriger.
Das einzige, was mir missfällt, ist wenn gewisse Trends aufgebauscht werden. Aber das passiert meistens eher durch das journalistische Feuilleton, was wiederum verständlich ist, weil das irgendwelche Aufhänger für seine Artikel braucht. Und da kann es halt schon mal vorkommen, dass da irgendwelche „Trends“ künstlich aufgeblasen werden.
Bietet ihr eure Comics auch als e-book an?
Nein, zurzeit nicht. Bei Webcomics und ähnlichen Produkten geht die Entwicklung so schnell, dass ich nicht weiß, wo wir mit welcher Plattform anfangen sollten. Das erfordert alles einen wahnsinnig hohen Produktionsaufwand, und gerade diese Plattform, für die wir uns heute entscheiden, könnte morgen schon wieder out sein… Dieser Aufwand lohnt sich für uns im Moment ganz einfach nicht.
Comics wollen gelesen werden, und wir wollen, dass die Leute die Comics lesen – also stecken wir unsere Kraft und Energie lieber in schön gemachte Printprodukte!
Was sind denn für euch Merkmale eines schönen beziehungsweise eines guten Comics?
Ein guter Comic sollte leicht lesbar sein und eine gewisse grafische Brillanz besitzen. Das heißt nicht unbedingt, dass er toll gezeichnet sein muss, das kann auch ruhig krickel-krackelig sein, aber dann bitte durchgehend, nicht mal-so-mal-so. Er sollte in sich stimmig sein, einen eigenen Stil aufweisen. Wichtig sind auch das Lettering – es sollte sich dem Lesen nicht widersträuben – und eine gekonnte Augenführung: Ich achte darauf, wie mich der Zeichner als Leser über die (Doppel)seite führt. Bringt er die spannenden Momente so, dass er mich zum Umblättern motiviert, oder geschieht alles Spannende auf der rechten Seite, wo ich’s sofort sehe? In gewissem Sinne bin ich da auch Traditionalist, zum Beispiel in Bezug auf das Panel-Layout: Es stört mich im Lesefluss, wenn es sich mir einfach nicht erschließt, warum zum Beispiel auf einmal alle Sprechblasen schräg gezeichnet sind, oder wenn sie der Handlung wie eine Wand im Wege sind.
Ein guter Comic ist im besten Fall auch gut geschrieben, für mich ist es wichtig: Wie sprechen die Personen miteinander, wirken die Dialoge echt, aus dem Leben gegriffen?
Ansonsten bin ich da sehr offen, auch wenn ein Comic mich spontan zum Lachen bringt, ist es ein guter Comic für mich!
Coverillustration von Robert Mühlich/ Bastian Baier „Mister Origami“, Zwerchfell 2014, (C) Zwerchfell Verlag
Danke für die ausführliche Antwort! Das ist ja ein ganz schöner Katalog. Wie findet ihr solche guten Autorinnen und Zeichner?
Also, zum einen haben wir Stammzeichner – die aber alle außer für uns auch noch für andere Verlage tätig sind – wir nehmen aber auch neue an. Aike Arndt zum Beispiel, mit „Die Zeit und Gott“: Da haben wir fünf Minuten gebraucht um zu sagen, das machen wir!
Sascha Thau dagegen war mit seinem Projekt „Der Kosmopolit“ auf einem Stapel gelandet, der bestimmt ein Jahr lang neben meinem Bett herumlag, bis ich mal wieder hineinschaute und mich dann dafür entschieden habe, Sascha noch einmal zu kontaktieren.
Wir betreiben aber auch aktive eigene Recherche im Netz – was zurzeit im Netz passiert, als Webcomic oder in noch ganz anderen Formen, gehört sicher mit zum Spannendsten von dem, was gerade abgeht in der Comicszene. Und dann schauen wir uns auch Fanzines oder Magazine und Anthologien wie „Jazam!“ genau an, und wenn uns da jemand gefällt, sprechen wir ihn einfach an! Zum Beispiel haben wir in der aktuellen Ausgabe von „Comicgate“ gerade einen Beitrag von einem Zeichner gefunden, der uns spontan so zugesagt hat, dass wir ihn für die nächste Nummer unserer Reihe „Die Toten“ angefragt haben.
Das ist interessant, ihr seid bisher die einzigen, die aussagen, dass sie auch selbst aktiv nach Zeichnerinnen und Zeichnern suchen. Was erwartet ihr eigentlich generell von einem Autor?
Dass er einen guten Comic macht, und dass er gute Geschichten erzählen kann, natürlich! Und außerdem eine gewisse menschliche Flexibilität: Wir sollten auch zwischenmenschlich zueinander passen, andererseits kann das die Zusammenarbeit tatsächlich killen. Denn wir sind nun mal ein sehr familiärer Verlag, wo man sehr nahe aneinander ist, und haben durchaus einen verlagseigenen Humor – der auch sehr doof sein kann, zugegeben – und das muss man einfach ertragen können, wenn man mit uns zusammenarbeiten will! Zumal wir natürlich auch keine riesigen Honorare zahlen können – da sollte man sich dann auch nicht noch menschlich total anöden, wenn man z.B. gemeinsam auf Messen an einem Stand sitzt!
Coverillustration von Maria Hen „Das Schwein“, Zwerchfell 2014, (C) Zwerchfell Verlag
Und welchen Tipp würdet ihr jungen Zeichnern geben, die einen Verlag suchen bzw. sich in der Comicszene etablieren möchten?
Es ist wichtig, Feedback zu bekommen und sich gedruckt zu sehen. Zum einen gibt es da natürlich das Internet und die ganzen Sozialen Medien, die es einem erleichtern, seine eigenen Werke der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Rückmeldungen, die man auf diese Weise erhält, werden vermutlich nicht alle konstruktiv sein, aber es werden auch viele nützliche Kommentare darunter sein.
Zum anderen sollte man zusehen, dass man in irgendeiner Form auch in Papierform erscheint. Dafür könnte man z.B. versuchen, mit einem Kurzcomic in Anthologien wie „Jazam!“ unterzukommen, weil das einfach einen guten Eindruck davon vermittelt, wie es ist, sich gedruckt zu sehen, auch im Zusammenspiel und im Vergleich mit anderen Comics. Auf diese Weise bekommt man dann auch ein Gefühl für die drucktechnischen Herausforderungen.
Eine weitere Möglichkeit wäre, über preisgünstige online-Druckereien einfach einmal eine kleine Auflage von seinen Heftchen drucken zu lassen, um diese dann auszulegen und unter Freunden und Bekannten zu verteilen, mit der Bitte um Rückmeldung natürlich. Wobei bei diesen Aktionen nicht der Gedanke im Hintergrund stehen sollte, damit jetzt schon das große Geld verdienen zu wollen.
Stichwort Geld: Viel verdienen kann man nicht in der Comicbranche, oder?
Naja, man kann schon Geld verdienen mit Comics. Aber man muss halt viel Zeit aufwenden und in Vorlauf gehen. Das gilt gerade auch für einen kleinen Verlag wie unseren, und auch für Veranstaltungen wie z.B. den Comic-Salon: Ehe überhaupt die Kosten für einen Messestand etc. wieder drin sind und man anfängt, Gewinn zu machen, müssen wir schon 2.000 – 3.000 Stück absetzen. Deswegen bieten wir unseren Autoren und Zeichnern auch ganz unterschiedliche Formen der Gewinnbeteiligung bzw. Honorarausgestaltung an. Manche z.B. wollen lieber ein niedrigeres Honorar, aber erhalten dafür mehrere Kartons ihrer Werke zum Selbstverkauf und machen auf diese Weise ihren Schnitt.
Für viele Kleinstverleger besteht eines der Hauptprobleme darin, überhaupt in den Vertrieb reinzukommen. Daher haben wir z.B. das „Oh!-Magazin“ unter unsere Fittiche genommen, nachdem es den Comic-Clash-Preis gewonnen hatte, um diesen talentierten Zeichnerinnen und Zeichnern eine größere Plattform zu ermöglichen.
Also, reich wird damit zwar keiner, aber es gibt auch ein paar Comickünstler, die von ihren Werken ganz gut leben können, z.B. Flix, der relativ massenkompatible Comics macht. Oder Reinhard Kleist, der großartige historische Sachen abliefert.
Und wir verdienen z.B. mit „Die Toten“ ja auch langsam etwas und sind mit dieser Serie nun sogar Zulieferer für Panini geworden!
Aber letztlich muss man lieben, was man macht, sonst macht das Ganze ja eh keinen Spaß.
Das war ein gutes Schlusswort! Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sylvia Marquardt.
Weitere Informationen im Netz:
Zwerchfell Verlag