Gespräch mit Jutta Harms, Pressesprecherin von Reprodukt. Seit 25 Jahren verlegt Reprodukt als unabhängiger Verlag Autoren-Comics. Das Interview entstand am Rande des Comic-Salons Erlangen 2016.
Bei Reprodukt erscheinen Comics von Barbara Yelin, Mawil, Aisha Franz, Sascha Hommer, Cyril Pedrosa … – alle mit großer Sorgfalt gestaltet und produziert. Seit 2013 hat der Verlag auch Comics für Kinder im Programm. Ganz neu ist eine Reihe für junge Positionen. Beim Internationalen Comic-Salon Erlangen wurden aus dem Programm von Reprodukt mit Max-und-Moritz-Preisen die Titel „Ein Sommer am See“ (Jillian Tamaki und Mariko Tamaki) und „Kiste“ (Uwe Heidschötter/Patrick Wirbeleit) sowie Barbara Yelin („Irmina“) als Beste Zeichnerin und Claire Brétecher („Agrippina“) für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Porträt von Jutta Harms, gestaltet von Anna Haifisch
(C) Anna Haifisch
In eurem Verlagsporträt auf eurer Homepage schreibt ihr, dass eure Zeichner v.a. aus der Independent-Szene kommen und nicht die klassischen Comicthemen bedienen. Das heißt, welche Themen findet man bei euch nicht?
Indie-Szene kann man insofern sagen, als dass unsere Autoren genau das sind, nämlich Autoren. Das heißt, wir geben keine Themen in Auftrag. Wenn man sich im Gegensatz dazu amerikanische Serien anschaut oder in Deutschland die „Abrafaxe“, dann sind das vorgegebene Geschichten, Produkte der Unterhaltungsindustrie – die wir auch mögen und schätzen, aber unser Schwerpunkt ist eben der Autorencomic. Und da sind alle Themen möglich, von Action und Science-Fiction bis hin zu psychologischen Studien und Familiengeschichten.
Grundsätzlich sind es also Geschichten, die den Autoren am Herzen liegen und ihnen wichtig sind und nicht Themen, die wir vorgeben. Das ist vergleichbar mit der Literatur und kann genauso die ganze Bandbreite an Themen abdecken, die Menschen bewegen.
Ausschnitt aus: Céline Fraipont, Pierre Bailly, Kleiner Strubbel: Kramik, der Halunke
(C) Reprodukt
Seit 2013 habt ihr auch Comics für Kinder im Programm. Ab welchem Alter sind denn eure Comics?
Unsere jüngsten Leserinnen und Leser sind zwei Jahre alt: Die „Strubbel“-Geschichten sind wortlos, und wenn die Kinder daran interessiert sind, können sie die schon mit zwei Jahren „lesen“ – andere sind vielleicht erst mit drei Jahren soweit. Und für Erstleser ab sechs Jahren haben wir z.B. unsere „Kiste“-Reihe von Uwe Heidschötter und Patrick Wirbeleit.
Cover von Patrick Wirbeleit, Uwe Heidschötter: Kiste, Kein Unsinn
(C) Reprodukt
Was sind denn eure Erfahrungen: Können Comics Kindern das Lesen schmackhaft machen – oder greifen nur diejenigen zu Comics, die ohnehin schon viel lesen?
Also, wir kriegen viele Rückmeldungen von Eltern und Tanten, gerade, was „Kiste“ angeht, wie z.B.: „Mein Sohn hat das erste Mal freiwillig ein ganzes Buch gelesen!“ Und „Kiste“ bekommt auch Fanpost, hier in der Erlanger Ausstellung zeigen wir beispielsweise den Brief von einer Lehrerin aus Luxemburg, die uns im Namen ihrer Klasse geschrieben hat, oder selbst gezeichnete Briefe von Kindern. Ich denke, Kinder lieben Comics, weil das Visuelle sie ganz besonders anspricht, sie haben dazu einen einfachen Zugang. Und sie lieben Serien! Bei „Kiste“ haben wir jetzt drei Bände draußen und den vierten angekündigt, und die „hibbeln“ darauf schon richtig hin. Und das ist anders als in unserem Erwachsenenprogramm. Da haben wir zwar auch Serien, aber gerade im Buchhandel ist der „Oneshot“, also ein in sich abgeschlossener Einzelband, leichter zu platzieren als Serien. Bei Kinderliteratur ist das anders.
Brecht Evens: Panter, Coverillustration
(C) Reprodukt
Was sind denn deine aktuellen Lieblingstitel, die ihr hier in Erlangen dabei habt?
Also, wir haben z.B. „Panter“ dabei von Brecht Evens, das ist visuell ein großer Genuss. Oder da wäre „The Artist“ von Anna Haifisch, einer Leipziger Zeichnerin, ein Comic, das mir total gefällt. Dann haben wir die Neuauflage unseres allerersten Comics im Gepäck, „Der Tod von Speedy“ von Jaime Hernandez, der ursprünglich 1991 herauskam, in einer von Arne Bellstorf gestalteten Neuausgabe. Parallel dazu ist „Liebe und Versagen“ erschienen, ein neuerer Band aus der Reihe „Love and Rockets“, ebenfalls von Jaime Hernandez. Dieselbe Hauptfigur steht im Mittelpunkt, aber zwischen beiden Bänden liegen 30 Lebensjahre von Maggie. Über diese beiden Bände freue ich mich auch sehr. Aber die Bezeichnung „Lieblingstitel“ gefällt mir eigentlich nicht so sehr, denn wir sind stolz auf alle Bücher, die wir haben und freuen uns, dass sie da sind!
Ausschnitt aus Anna Haifisch, The Artist
(C) Reprodukt
Bietet Ihr eure Comics auch als e-books an?
Nein, das hätte keinen Sinn. Der e-book-Absatz im Comicbereich ist verschwindend gering. Wir können das auch gar nicht machen, zum einen wollen das viele Autoren nicht, und dazu kommt, dass es auch gar keine Lesegeräte gibt, die die Comics gescheit darstellen. Zumal viele Seiten von vornherein als Doppelseiten angelegt sind, und dafür sind alle Lesegeräte definitiv zu klein. Wenn es irgendwann einmal Zeichnerinnen und Zeichner gibt, die gezielt darauf hinarbeiten, ist das etwas anderes. Aber von den bestehenden Comics pdfs fürs iPad anzubieten oder ähnliches, das interessiert uns nicht; und unsere Zeichnerinnen und Zeichner wollen das zum Teil auch gar nicht.
Es gibt einen Band von Sacha Goerg, das ist ein Schweizer Zeichner, der hat „Roses Lächeln“ beim Internet-Magazin „Professor Zyklop“ online vorveröffentlicht. Das heißt, Sacha hat die Geschichte fürs Netz angelegt – sie funktioniert aber auch als Buch sehr gut. Das ist bislang der einzige unserer Zeichner, der gezielt für das Medium arbeitet.
Cover von Jaime Hernandez, Der Tod von Speedy
(C) Reprodukt
Eines eurer Markenzeichen ist ja das Handlettering. Ist jeder Titel bei euch handgelettert?
Nicht jeder. Grundsätzlich versuchen wir das zu machen, wenn die Originalausgabe handgelettert ist. Wenn wir also einen Lizenztitel aus Frankreich oder aus anderen Ländern veröffentlichen, dann orientieren wir uns daran, ob das Original von Hand gelettert ist oder nicht. Und unsere deutschen Zeichnerinnen und Zeichner lettern meistens selbst, es gibt nur ganz wenige, die lieber einen Fonts benutzen.
Einige der internationalen Künstlerinnen und Künstler haben auch die deutschen Ausgaben ihrer Comics gelettert, obwohl das für jemanden, der die deutsche Sprache nicht beherrscht, natürlich ganz schön mühsam ist. Überwiegend beschäftigen wir dafür also Letterer.
Ausschnitt aus Arne Bellstorf, Baby’s in black – The Story of Astrid Kirchherr & Stuart Sutcliffe
(C) Reprodukt
Wie ist denn das zahlenmäßige Verhältnis von internationalen zu deutschen Künstlern bei euch?
Noch überwiegen die Lizenzen, wir möchten aber den Anteil unserer Eigenproduktionen auf jeden Fall noch erhöhen. Zum einen macht die Zusammenarbeit einfach großen Spaß: Wenn das Lektorat bei der Umsetzung der Geschichten helfen kann, und da kommen tolle Bücher bei heraus. Zum anderen wären wir selbst dann stärker in der Position, Lizenzen zu verkaufen – das klappt auch immer besser. Arne Bellstorfs „Baby’s in black – The Story of Astrid Kirchherr & Stuart Sutcliffe“, die Geschichte des fünften Beatle, ist z.B. in sehr vielen Sprachen erschienen. Eigentlich ist das die Lebens- und Liebesgeschichte von Astrid Kirchherr mit Stuart Sutcliffe, die sie Arne erzählt hat, und Arne hat daraus ein Comic gemacht. Das ist auf Japanisch erschienen, auf Französisch, Englisch und weiteren Sprachen. So ein Erfolg ist natürlich eine tolle Sache, sowohl für uns als auch für den Künstler, wenn es gelingt, das Werk auch noch im Ausland gut zu platzieren.
Was sind für dich Merkmale eines guten Comics? Wann bleibst du persönlich an einem Comic hängen?
Die Erzählung muss stimmig sein, auf grafischer und textlicher Ebene. Wenn die Geschichte toll ist und die Zeichnungen sind’s nicht oder umgekehrt, ist es schon vorbei. Das können aber ganz unterschiedliche Stile und Geschichten sein, die mir gefallen. Ich mag gerne Stoffe, die in irgendeiner Weise vom Alltag inspiriert sind, wie z.B. „The Artist“ von Anna Haifisch, ein sehr witziger Comic über das Künstlerleben: The Artist ist ein vogelartiges Wesen, bei dem man nicht erkennen kann ob es Männlein oder Weiblein ist. Das Leben von „The Artist“ ist natürlich auch von Annas eigenem Alltag und Umfeld inspiriert. Die Strips sind witzig überzeichnet, ein bisschen selbstironisch und gleichzeitig sehr liebevoll – für mich ein ganz toller Comic.
Cover von Anna Haifisch, The Artist
(C) Reprodukt
Das heißt, Text und Bild müssen eine Einheit bilden, und man muss dem Ganzen das Herzblut ansehen?
Den Ausdruck „Herzblut“ mag ich in diesem Zusammenhang nicht so gern. Es geht nicht um „Herzblut“, sondern es geht ums Können! Die Dramaturgie muss stimmen und die zeichnerische Umsetzung muss stimmen. Das Erzählen in Comics kann man lernen – das möchte ich vielen Leuten ans Herz legen, die sich professionalisieren wollen. Damit meine ich nicht, dass sie sich irgendeinen einheitlichen Stil überstülpen lassen, sondern dass man lernen kann, wie man seine Geschichte in einem Comic am besten erzählt, im Hinblick auf Aufbau, Dramaturgie und Spannungsbögen. Und das hat eher mit Fertigkeiten zu tun als mit „Herzblut“.
Was wünscht du dir außerdem für die deutsche Comicszene in den nächsten Jahren?
Natürlich viele interessierte Leserinnen und Leser, weil wir alle davon leben wollen, und da ist noch massig Luft nach oben. Und ich wünsche mir auch oft eine größere Gelassenheit, was die internen Diskussionen betrifft. Also, es entwickeln sich gerade so viele verschiedene Stile und Methoden und Richtungen, was und wie man veröffentlicht, sei es als self publishing, mit einem Verlag, als Kollektiv, durch Gemeinschaftsfinanzierung. Da sollte man die jeweiligen Entscheidungen der anderen Zeichner, der anderen Verlage respektieren und mit einer großen Offenheit und Neugier schauen, was sich da alles entwickelt. Es entwickelt sich enorm viel gerade, und diese Vielfalt empfinde ich als etwas ganz und gar Positives!
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sylvia Marquardt.
Weitere Informationen im Netz:
http://www.reprodukt.com