Gespräch mit Marie Sann. Das Interview entstand am Rande des Comic-Salons Erlangen 2016.
Die Begeisterung fürs Zeichnen packte Marie Sann schon, sobald sie lernte, einen Stift zu halten. Schon als Jugendliche gewann sie Preise für ihre Illustrationen, und während der Abiturzeit veröffentlichte sie erste Comicprojekte. 2013 erschien eine von ihr gezeichnete Adaption des Romans „Frostfeuer“ vom Bestsellerautor Kai Meyer.
(C) Marie Sann
Du hast viel im Manga-Stil gezeichnet, z.B. „Krähen“ oder auch „Frostfeuer“ – ist das richtig?
Also, Frostfeuer würde ich schon nicht mehr als reinen Manga-Stil bezeichnen. Ich habe „Sketchbook Berlin“ gemacht, da war ich 19 – gleichzeitig mit dem Abitur – das war reiner Manga-Stil, und „Krähen“ war auch noch Manga; aber „Frostfeuer“ war schon eine Mischung. Es hatte etwas von dem, was ich vom Manga-Zeichnen gewohnt war und kannte, ging aber auch schon ein bisschen in die franko-belgische Richtung.
Was war denn ursprünglich das Faszinierende an dem Manga-Zeichenstil für dich?
Es ist ein Stil, der auf das Wichtige reduziert. Die großen Augen, das Kindchen-Schema, das fasziniert natürlich; und damals, als ich damit anfing, war das auch noch etwas Neues, was wir hier nicht so kannten. Inhaltlich fand ich es spannend, dass auch Frauen Heldinnen sein konnten. Die klassischen Superhelden sind ja überwiegend männlich, während es im Manga-Bereich z.B. die „Magical Girl“- Geschichten gab, die mich schon als 12-jährige total angesprochen haben – das war auch das Alter, in dem ich auf den Manga-Stil gekommen bin.
Coverillustration zum Sammelband von „Frostfeuer“, erschienen 2013. (C) Splitter Verlag
Wie würdest du dich selbst beschreiben? Ich nehme mal an, nicht als Mangaka?
Nein, ich bin Illustratorin und Comic-Zeichnerin.
Für „Krähen“ und „Frostfeuer“ hast du jeweils mit einem Texter zusammengearbeitet. Wie lief die Zusammenarbeit ab, hast du zuerst die Texte bekommen und dazu Bilder entworfen oder habt ihr gemeinsam ein Szenario festgelegt?
Bei „Krähen“ war es ein guter Freund, der selbst Comiczeichner ist und da dann einmal als Autor fungiert hat: Guido Neukamm. Mit ihm habe ich mich zusammengesetzt und die Storyboards gemeinsam entwickelt, und von Guido habe ich auch ganz viel gelernt übers Comiczeichnen.
Bei „Frostfeuer“ ging das vom Splitter Verlag aus. Der gleichnamige Roman von Kai Meyer lag bereits vor, und der Texter Yann Krehl hat mir ein Skript geschickt, in dem ungefähr stand, was auf einer Seite passieren muss. Um den Text in den Sprechblasen der gezeichneten Seiten hat sich dann Kai Meyer selbst gekümmert, denn als Autor war es ihm natürlich auch wichtig, dass die wichtigen Inhalte seines Romans gut herauskommen.
Coverillustration zu Band 1 von „Krähen“, (C) Marie Sann
Was genau hast du denn von Guido Neukamm gelernt?
Also, als ich 16 war, habe ich an einem Manga-Talentwettbewerb teilgenommen und Illustrationen hingeschickt, und bis dahin hatte ich auch nur Illustrationen gemacht. Dann habe ich den Wettbewerb tatsächlich gewonnen, und da kam der Tokyopop-Verlag auf mich zu und hat gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, einen Manga mit ihnen zu veröffentlichen. Vorher hatte ich gar nicht daran gedacht, je Comics zu machen. Aber Guido war schon damals ein guter Freund von mir, und er schlug vor, dass wir das ja gemeinsam angehen könnten. Und das war toll: Von ihm habe ich gelernt, wie man Storyboards anlegt, mit Sprechblasen umgeht, wie man den Inhalt auf wenig Platz in Bildern transportiert, Storytelling… eigentlich einfach alles, was fürs Comiczeichnen wichtig ist!
Hast du auch selbst gelettert, z.B. bei „Frostfeuer“?
Nein, das hat der Splitter Verlag gemacht – der hat seine eigene Hausschrift.
Illustration aus „Krähen“, (C) Marie Sann
Was sind denn deine Lieblingsarbeitswerkzeuge?
Meistens arbeite ich digital; „Frostfeuer“ z.B. ist komplett digital entstanden; auch die Vorzeichnungen sind mit Tablet und Pen entstanden. Auch mein neues Pinup-Projekt entsteht digital. „Krähen“ dagegen ist mit Bleistift gezeichnet.
Wie kam es dazu?
Der Verlag und ich hatten uns Gedanken über die Umsetzung gemacht, und tatsächlich hatte ich schon zwei Kapitel getuscht. Tuschen war aber nie so richtig mein Ding, die Linien sind dann irgendwie so abgestorben, nicht mehr so lebendig. Meine Bleistiftlinien waren aber schon damals schön locker, schön lebendig. Und im direkten Vergleich haben wir dann gemerkt, die getuschten Zeichnungen zu „Krähen“ sind einfach lange nicht so spannend wie die Bleistiftzeichnungen dazu. Und dann habe ich die zwei Kapitel tatsächlich noch einmal komplett neu mit Bleistift gezeichnet, und dann auch das ganze Werk.
Das war auch ein Experiment für den Verlag, denn es wurde – damals zumindest – von vielen Manga-Leserinnen und -lesern erwartet, dass Mangas getuscht sind und mit Raster-Folien bearbeitet, wie es eben die klassischen Manga in Japan auch sind. Es hat aber gut geklappt, es bei „Krähen“ anders zu machen und wurde auch gut angenommen.
Illustration aus dem Projekt „Kinky Karrot“, (C) Marie Sann
Was sind deine wichtigsten aktuellen Projekte?
Das ist zum einen das Pinup-Projekt „Kinky Karrot“. Im Moment existieren dazu lediglich die Illustrationen, aber ich arbeite derzeit auch an einem Artbook, in dem die Illustrationen mit erotischen Comic-Kurzgeschichten kombiniert werden. Bei denen werde ich mit ganz verschiedenen Autoren zusammenarbeiten, da freue ich mich schon sehr darauf.
In meinem Webcomic-Projekt „Sputtlichkeiten“ zeichne ich Alltagsgeschichten von mir und meinem Hund, und solche lustigen kleinen Funny-Stories mache ich gerne selbst. Aber für größere, „ernsthafte“ und längere Comics nehme ich mir gerne Autoren, weil ich es schön finde, mit anderen Kreativen zusammenzuarbeiten. Das Zeichnen an sich ist ja schon eine einsame Arbeit, da ist es auch toll, mit anderen zusammenzukommen und sich gegenseitig zu inspirieren.
(C) Marie Sann, „Sputtlichkeiten“
Wer oder was hat dich neben Guido Neukamm in deinem Werdegang beeinflusst? Gab es Vorbilder?
Meine Eltern haben mich beeinflusst, weil die mich schon ganz früh sehr stark unterstützt haben in dem, was mich schon als kleines Kind begeistert hat, nämlich dem Zeichnen. Man kann es sicher auch so schaffen, wenn man einen großen Ehrgeiz hat – den habe ich auch – aber wenn man Unterstützung hat von den Liebsten, dann ist das natürlich enorm wertvoll.
Als Vorbilder kann ich jetzt keine konkreten Künstlerinnen oder Künstler nennen; ich sehe natürlich immer mal wieder Werke, die mich beeindrucken und inspirieren. Eigentlich kann ja alles Inspiration sein, wenn man offen dafür ist: Stoffe, Kleidung, Filme, Musik, ein badender Spatz am Straßenrand, die Liebe…
Illustration aus dem Projekt „Kinky Karrot“, (C) Marie Sann
Es gibt ja gerade auch im Manga-Bereich viele Mädchen, die von einer Zeichenkarriere träumen. Talent ist aber nicht alles, oder?
Man muss es wirklich wollen, weil es auf jeden Fall hart ist. Hart zum einen, weil es viele Zeichnerinnen und Zeichner gibt, also viel Konkurrenz; aber auch dieses Dranbleiben, um wirklich davon leben zu können – da braucht man ein dickes Fell und muss wirklich überzeugt sein von dem, was man tut. Sonst schafft man es nicht lange, auf dem Markt zu existieren. Und natürlich ist es gut, sich abzuheben von anderen, um im Gedächtnis zu bleiben, aufzufallen.
Illustration aus „Krähen“, (C) Marie Sann
Worauf achtest du sofort, wenn du eine Grafik oder einen Comic betrachtest?
Ich glaube, das ist die Gesamtwirkung. Ich erkenne sehr schnell, ob es ein guter Zeichner, eine gute Zeichnerin ist, ob er oder sie eine gute Technik hat. Das kommt durch die eigene Erfahrung und auch einfach durchs Beobachten. An der Linienführung kann man immer sehr viel erkennen. Aber es zählt für mich immer sofort auch die Gesamtwirkung.
Du bist ja schon seit Anfang der 2000er Jahre dabei, wenn ich das richtig sehe: 2003 hast du den Talent-Wettbewerb gewonnen, dann kam 2006 das „Sketchbook Berlin“ und 2009 „Krähen“. Was hat sich in der Comic-/Grafikbranche seitdem verändert?
Also, ich weiß nicht, ob ich da die richtige Ansprechpartnerin für einen Überblick über den Markt bin; ich bin eigentlich immer sehr bei mir und bei dem, was ich mache und was die direkten Kolleginnen und Kollegen so treiben.
Ich weiß nur, wie schwer es mir gefallen ist, mich freizukämpfen bei meinem Übergang vom Manga zum Comic – da wird ja immer sehr unterschieden. Als ich dann bei Splitter war und „Frostfeuer“ gezeichnet habe, fiel es mir total schwer, die Leute auf Conventions etc. zu überzeugen, dass ich gute Sachen mache und nicht „nur dieses Manga-Mädchen“ bin. Das war sehr anstrengend, mich da zu beweisen. Aber ich weiß nicht, ob diese Grenzen heute immer noch so starr sind, diese Kluft zwischen Manga- und Comicfans. Es sind ja einfach nur unterschiedliche Stile, Geschmackssache. Ich finde es eigentlich schade, dass das so sehr getrennt voneinander läuft.
Innenillustration aus „Frostfeuer“, (C) Marie Sann
Und was wünschst du dir für dein zukünftiges Schaffen?
Parallel zum Comiczeichnen verdiene ich mein Geld ja mit Auftragsarbeiten für Agenturen und andere Kunden, z.B. mit Coverillustrationen, Storyboards für die Werbeindustrie, Infografiken, Maskottchendesign u.a.. Das ist auch eine interessante Arbeit, aber für die Zukunft wäre es sicherlich schön, noch mehr – idealerweise natürlich: ausschließlich – von „Herzensprojekten“ leben zu können!
Weiterhin viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sylvia Marquardt.
Weitere Informationen über Marie Sann im Netz:
www.marie-sann.de
www.facebook.com/mariesannartist
www.kinkykarrot.com
Auf Instagram zu finden unter:
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