Gespräch mit Reinhard Kleist, geboren 1970 in Hürth, lebt in Berlin. Das Interview entstand am Rande des Comicfestivals München 2015.
Reinhard Kleist Studierte Grafik und Design in Münster und arbeitet seit 1996 als freier Comic-Zeichner und Illustrator. Er veröffentlichte zahlreiche Comics, u. a. bei Ehapa, Landpresse, Edition 52 und Carlsen. Für seine Arbeiten wurde er vielfach ausgezeichnet, darunter zweifach mit dem Max und Moritz-Preis (1996 und 2008), dem B. Z. Kulturpreis (2013) und dem Deutschen Jugendliteraturpreis (2013). Veröffentlichungen: „Cash – I see a Darkness“, „The Secrets of Coney Island“, „Havanna – Eine kubanische Reise“, „Castro“, „Berlinoir“, „Der Boxer“ und zuletzt „Der Traum von Olympia“.
Reinhard Kleist, Copyright: anjazwei.de
Du hast ja wirklich in relativ kurzer Zeit eine hohe Anzahl an Werken veröffentlicht. Nach welchen Kriterien suchst du dir deine Stoffe aus?
Das sind Geschichten, die mir einfach über den Weg laufen, wenn ich mich für ein bestimmtes Thema interessiere. Es ist nicht unbedingt so, dass ich die Stoffe suche, sondern es kommt mir eher vor, als ob die Stoffe mich finden würden. Im Falle von „Der Traum von Olympia“ war ich vor zwei oder drei Jahren mit dem Goethe-Institut in Palermo, und wollte gerne etwas zum Thema Flüchtlinge machen. Zunächst habe ich über Flüchtlinge recherchiert, die schon in Europa gelandet waren, ich wollte wissen, was die machen, wo die landen, wie es ihnen ergeht… Ich habe lange überlegt, wie ich das Thema wohl am besten bearbeite. Dann bin ich in verschiedenen Artikeln auf Samia gestoßen (Anm.: Die Sprinterin Samia Yusuf Omar aus Somalien, die 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking antrat und an der Olympiade in London teilnehmen wollte, jedoch 2012 auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrank), und damit ist die Sache dann in eine ganz andere Richtung gegangen als ursprünglich geplant oder gedacht, denn ich habe mich dann ziemlich schnell dazu entschlossen, mich mit dem Thema ihrer Flucht, ihrem Fluchtweg zu beschäftigen. Dafür habe ich mich mit verschiedenen Leuten getroffen und unterhalten. Über Teresa Krug, eine amerikanische Journalistin, konnte ich auch Samias Schwester kennenlernen, die in Finnland lebt, und die mir viele Details aus dem Familienleben erzählt hat.
Cover von Reinhard Kleist: Der Traum von Olympia. Mit freundlicher Genehmigung des Carlsen Verlags
Und wie motivierst du dich dann, am Ball zu bleiben, wenn du einen ‚Plot‘ gefunden hast?
Ich arbeite in einem Atelier gemeinsam mit drei anderen Zeichnern, das motiviert zum einen. Bei dem traurigen Stoff von „Olympia“ kam hinzu, dass ich die Geschichte unbedingt erzählen wollte, weil ich Samia sehr bewundere für das, was sie getan hat. Ich wollte ihre Geschichte unbedingt anderen Leuten näherbringen und hoffe, dass die Leserinnen und Leser sich über mein Werk mit Samias Schicksal beschäftigen und dadurch vielleicht anders über die gesamte Thematik nachdenken.
Für einige Projekte hast du auch mit anderen zusammen gearbeitet. Wird dein zeichnerischer Stil dadurch beeinflusst?
Der zeichnerische eigentlich nicht. Den Text bekomme ich in diesen Fällen einer Zusammenarbeit ja auch nicht übergestülpt, sondern bespreche das mit dem betreffenden Autor, und wir arbeiten zusammen an dem Text. Dadurch ergeben sich dann natürlich schon manchmal Änderungen im Verhältnis dazu, wie ich diese Geschichte erzählen würde, wenn ich alleine wäre. Zeichnerisch versuche ich immer, meinen Stil der Geschichte anzupassen; ich überlege mir, welchen Stil gerade diese Geschichte braucht. Auch bei meinen Eigenproduktionen bin ich übrigens nicht ganz alleine, sondern arbeite eng mit einem Redakteur zusammen.
Cover von Reinhard Kleist & Tobias O. Meißner: Berlinoir. Mit freundlicher Genehmigung des Carlsen Verlags.
„Castro“, „Der Boxer“ und „Olympia“: Deine jüngsten Werke beschäftigen sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen, wie der Entstehung und dem Verlauf von Revolutionen, den Auswirkungen des NS-Regimes auf ein Einzelschicksal oder aktuell der Flüchtlingsthematik. Worin liegt denn die besondere Herausforderung, oder der besondere Reiz, mit Comics/Graphic Novels solche Themen zu behandeln?
Für mich hat der Comic einen sehr direkten Zugang zum Leser. Ich als Autor und Zeichner kann einen sehr persönlichen Blick da hinein geben. Ich habe ja eine bestimmte Einstellung zu den Figuren, z.B. habe ich mir eine bestimmte Meinung zu Fidel Castro gebildet, als ich mich mit ihm und seiner Politik beschäftigt habe, und das kann ich sehr unmittelbar in den Comic mit einbauen.
Bei dem „Boxer“ war es so, dass ich diese Person so interessant fand. Er ist ja kein positiver Charakter, sondern eine sehr ambivalente Figur, mit der man aber mitfiebert: Man will trotzdem, dass er diesen großen Kampf am Ende gewinnt. Das hat mich an dieser Geschichte so gefesselt, und darauf habe ich mich dann konzentriert. Das hat sich dann auch im Zeichenstil ausgedrückt, z.B. ist die Figur des Hertzko Haft ja sehr starr in ihren Gesichtszügen, zeigt kein exaltiertes Mienenspiel. Stattdessen habe ich versucht, vieles durch die Körpersprache des Boxers zu vermitteln, dass er z.B. in bestimmten Situationen, wenn er auf Neues trifft oder Räume betritt, etwas umklammert – als Festung gegenüber der Außenwelt.
Cover von Reinhard Kleist: Der Boxer. Mit freundlicher Genehmigung des Carlsen Verlags.
Du hast schon viele Workshops im Ausland gegeben, z.B. in Südamerika, Asien oder Kanada. Welcher davon ist dir besonders im Gedächtnis geblieben?
Die Workshops in der arabischen Welt waren besonders spannend, weil dort bei vielen zumindest unterschwellig politische Dinge hochkamen. Das schöne an diesen Workshops ist aber generell, dass jeder anders ist und die jeweiligen Studierenden ganz unterschiedliche Strömungen einbringen. Einige arbeiten eher eskapistisch, anderen gehen eher auf gesellschaftsrelevante Momente ein… Aber bei den arabischen fand ich doch, dass dort das politische Element eher im Vordergrund stand.
Welche Unterschiede zu deutschen Comickünstlern hast du festgestellt?
Das kann ich schwer beantworten, ich habe nämlich in Deutschland noch gar nicht so viele Workshops gegeben. Das Comic-Seminar beim Comic-Salon Erlangen lässt sich nicht so richtig mit meinen Auslands-Workshops vergleichen, weil die Zeichnerinnen und Zeichner dort oft schon mit eigenen Stoffen kommen, an denen sie weiterarbeiten wollen.
Spielt es für dich eine Rolle, ob Deine Werke als Comics oder als Graphic Novels bezeichnet werden?
Nein. Der Begriff Graphic Novel ist ja sehr schwammig, bietet dem Leser aber dennoch eine gewisse Orientierung, was er bei solch einem Werk erwarten kann. Für mich spielt das keine Rolle, ich achte nicht besonders drauf, was auf meinen Werken drauf steht. Was mir gut gefällt ist, dass gerade in Deutschland in den letzten zehn Jahren wirklich ein Wandel stattgefunden hat: Der Comic ist stärker geworden, hat eine größere Medienaufmerksamkeit bekommen, und das Vorurteil wurde abgebaut, dass Comics zwangsweise lustig sein müssen. Und zu diesem Wandel hat auch der Begriff ‚Graphic Novel‘ beigetragen. Früher haben viele Leute gesagt, dass sie mit Comics nicht so viel anfangen können, weil die Stoffe sie nicht interessierten. Heute gehen diese Leute eher regelmäßig in Buchhandlungen und gucken sich Comics – oder Graphic Novels – an, eben weil die Themen sie interessieren.
Die Comicszene Deutschlands sei vielfältiger geworden, habe ich auch beim Comic-Salon Erlangen oft gehört; auch Kritzeleien würden heute gehen, wenn sie irgendwie ‚gut gemacht‘ seien. Wie gut muss man denn überhaupt zeichnen können, um eine Karriere als Comickünstler anzustreben?
Da ich ja selbst vom Fach bin, gucke ich schon auch auf das Handwerkliche, wenn ich mir einen Comic anschaue. Aber daneben finde ich spannende Erzählstrukturen und das Spiel mit dem Medium mindestens genauso wichtig. Ich war auch schon gefesselt von Comics, die mich vom Stilistischen her nicht so interessierten. Es gibt da z.B. einen amerikanischen Comic, bei dem die Zeichnungen lediglich aus Punkten mit Sprechblasen bestehen. Die einzige Information, die der Leser durch diese Zeichnungen erhält ist, wie viele Leute sich gerade in dem Raum befinden. Und dadurch wird eine ganze Familiengeschichte erzählt, und das funktioniert total gut!
Cover von Reinhard Kleist: Auf Kaperfahrt. Mit freundlicher Genehmigung des Carlsen Verlags/Aladin.
Was sind deine wichtigsten aktuellen Projekte?
Aktuell arbeite ich an einem Comic über Nick Cave, das fordert gerade am meisten Konzentration. Außerdem gestalte ich gerade eine DVD-Box für eine japanische Künstlerserie aus den 60er/70er Jahren. Dann habe ich einen Band Seefahrergeschichten illustriert für den Aladin-Verlag. Und bei den „Berliner Mythen“ soll nächstes Jahr ein Buch mit den gesammelten Geschichten erscheinen.
Was sind deine Wünsche für die Zukunft in Bezug auf deine Arbeit als Zeichner?
Erst einmal wünsche ich mir, dass ich den Nick-Cave-Comic gut über die Bühne bringe. Und dann würde ich eigentlich gerne mal den Zeichentisch verlassen und z.B. eine Hochschullaufbahn einschlagen, bei der ich ein bisschen mehr mit anderen Leuten zusammenarbeite, denn das Comiczeichnen ist ja doch manchmal eher ein einsames Geschäft. Klar mache ich das schon mit meinen Workshops, aber das ist ja doch eher temporär, und ich würde die Leute gerne mal über eine längere Zeit begleiten. Ich habe da sehr gute Erinnerungen an meine eigene Zeit an der Fachhochschule Münster bei Professor Marcus Herrenberger.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sylvia Marquardt
Weitere Informationen im Netz:
www.reinhard-kleist.de